"Kerers Saite", zuerst erschienen in der Südtiroler Tageszeitung Dolomiten, mit freundlicher Genehmigung.

Musik ist ein reines Produkt der Evolution. Hätte es die Genies Gesualdo, Bach, Mozart, Beethoven, Stravinsky, Ligeti & Co nicht gegeben, die Musikgeschichte wäre dennoch so oder ähnlich geschrieben worden. Denn Musik ist nicht so sehr das Ergebnis eines künstlerischen Prozesses, sondern schlicht und einfach das Resultat selektiver Kräfte. Sie glauben das nicht? Ich auch nicht. Aber Armand Leroi vom Imperial College London schon. Laut ihm hat so manchem Komponisten, Klangkünstler oder DJ das letzte Stündlein geschlagen. Im Prinzip könne man ganz auf sie verzichten, denn Musik entwickle sich nach der Evolutionstheorie von Charles Darwin: Nur die besten, eingängigsten und sinnvollsten Tonfolgen setzen sich durch, der Rest stirbt aus. Demnach entstand Musik im Laufe der Menschheitsgeschichte aus Lärm – unabhängig von musikalischen Persönlichkeiten.

Zusammen mit dem Bioinformatiker Bob MacCallum hat Leroi einen Algorithmus mit Namen „DarwinTunes“ entwickelt, hinter dem die Idee steckt, dass nur die fittesten Tonfolgen sich „fortpflanzen“ dürfen. Nun arrangierten die Forscher gewissermaßen „Rendezvous“ zwischen den (laut ihnen) zehn beliebtesten Musikstücken und daraus entstanden „Baby“-Tonfolgen, bei denen sich nur die besten Eigenschaften ihrer „Eltern“ durchsetzten, die sich wiederum fortpflanzten usw. Dadurch seien im Laufe der Generationen immer wohlklingendere Tonfolgen (für westliche Ohren) entstanden. Auch Mick Jagger von den Rolling Stones hat also nur zufällig Musikgeschichte geschrieben. Die Millionen Fans die gestern mit ihm seinen 70. Geburtstag feierten sind da wohl anderer Meinung.

Musik ist so unbeschreiblich wundervoll, dass sie kein evolutionsbiologisches Zufallsprodukt sein kann. Ohne innovative einzelne Persönlichkeiten hätte es keine wegweisenden Entwicklungen gegeben. Nicht umsonst meinte Charles Darwin selbst: Wenn ich mein Leben noch einmal zu leben hätte, so würde ich es mir zur Regel machen, wenigstens jede Woche einmal etwas Poetisches zu lesen und etwas Musik anzuhören; denn vielleicht würden dann die jetzt athrophierten Teile meines Gehirns durch Gebrauch tätig erhalten worden sein. Der Verlust dieser Geschmacksempfindung ist ein Verlust an Glück und dürfte möglicherweise nachteilig für den Intellekt, noch wahrscheinlicher für den moralischen Charakter sein, da er den emotionalen Teil unserer Natur schwächt.“